Frühlings Erwachen von F. Wedekind

Rezension: Frühlings Erwachen von Frank Wedekind

Wir mussten das Buch in der Oberstufe zwar nicht lesen, aber weil meine Lehrerin das Drama, das Wedekind als Kindertragödie bezeichnete, in ihren Unterricht einbaute, versuchte ich es zu lesen. So richtig wollte mir das nicht gelingen und ich bin nicht sicher, ob das an Wedekinds Stil oder daran, dass ich es online am Bildschirm gelesen habe, lag. Deshalb habe ich mir die Tragödie jetzt noch einmal vorgenommen und kam deutlich besser damit zurecht. Im Nachhinein verstehe ich gar nicht, warum es mir damals nicht gelingen wollte, denn obwohl der Stil etwas eigentümlich ist, ist es nicht wirklich schwieriger zu verstehen als andere Dramen, die man in der Schule liest.

Auch die Themen sind wirklich interessant: Es geht um den Selbstmord von Moritz, der mit dem Versagen in der Schule nicht umgehen kann und der vielleicht auch mit der eigenen Sexualität nicht wirklich klarkommt. Auch die Homosexualität von zwei Klassenkameraden von Moritz und Melchior wird angesprochen aber nicht dramatisiert. Zusätzlich geht es um eine aufgeklärte Erziehung und darum welchen Schaden diese anrichten kann. Und es geht um die Kritik an einem output-orientierten Bildungssystem. Außerdem könnte ein weiteres Thema die Frau in der Erziehung und somit ihre Rolle in der Gesellschaft und vor allem in der Familie sein (hier stehen sich Frau Gabor und Frau Bergmann gegenüber).

Versuchen wir das mal ein bisschen aufzuschlüsseln: Moritz begeht Selbstmord und für mein Verständnis, nicht unbedingt, weil er von Melchior über seine Sexualität und den Geschlechtsakt aufgeklärt wurde, sondern deshalb weil die Schule nicht besser auf ihn aufgepasst hat. Moritz wird probeweise versetzt, muss dann aber erkennen, dass er einfach nicht mitkommt im Unterricht, obwohl er wirklich hart daran arbeitet. Sein Vater verachtet ihn dafür und macht ihm am Grab auch noch Vorwürfe, weil er sich umgebracht hat. Die Schule schiebt alle Schuld auf Melchior, der dementsprechend auch darunter zu leiden hat. Dass Moritz sich vielleicht wegen des schulischen Drucks Selbstmord begangen hat, scheint niemand in Erwägung zu ziehen und so wird eben auch die Kritik an der output-orientierten Bildung deutlich.

Output-orientiert heißt hier, dass es der Schule und den Lehrern nicht darum geht, dass die Schüler etwas gelernt haben und es anwenden können. Es geht nicht um praktische Erfahrungen und darum, dass es für sie irgendwie sinnvoll ist, oder gar darum, dass sich ein Schüler Mühe gibt (was Moritz ja wirklich tut). Es geht darum, dass das, was ein Schüler gelernt hat, irgendwie quantifiziert werden muss. Ein Schüler hat von 10 Aufgaben weniger als 5 richtig beantwortet? Damit ist er durchgefallen. Ein Diktat enthält zu viele Fehler: Durchgefallen. Moritz‘ Mühe wird nicht an einer Stelle im Drama irgendwie gewürdigt, stattdessen wird die Schuld der Schule am Selbstmord überhaupt nicht aufgegriffen (die Lehrer streiten sich lieber darüber, ob man das zweite Fenster im Lehrerzimmer auch noch zumauern sollte. Ein Schelm, wer hier eine Metapher vermutet…). Diese Kritik besteht natürlich bis heute.

Das Thema Homosexualität wurde, für mich zumindest, zwar angesprochen, scheint aber im Drama keine weitere Rolle gespielt zu haben. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass das eines der Gründe war, warum das Drama, vielleicht zeitgenössisch nicht besonders gut rezipiert wurde.

Es geht um die Rolle der Frau und Mutter: Frau Bergmann und Frau Gabor. Frau Bergmann erzählt ihrer Tochter nichts über Sexualität, nichts über den Geschlechtsakt und nichts darüber woher die Babys kommen. Sie schämt sich dafür, dass sie eine Frau ist, sie schämt sich dafür, dass so etwas wie Sexualität überhaupt existiert und was passieren muss, damit ein Baby entstehen kann. Auf der anderen Seite ist da Frau Gabor. Sie erzieht ihren Sohn sehr offen. Er kennt die Anatomie von Männern und Frauen, aber er weiß auch woher die Kinder kommen und wie der Geschlechtsakt funktioniert. Sie steht hinter ihrem Sohn als behauptet wird, dass er für den Tod an seinem besten Freund verantwortlich ist, aber gleichzeitig verabscheut sie ihn dafür, was er Wendla angetan hat. War sie vorher noch komplett dagegen, ihn in eine Besserungsanstalt zu geben, ist sie nach dem Vorfall mit Wendla dafür, ihn dorthin zu geben. Sie schämt sich nicht dafür, dass sie ihn so offen erzogen hat und sie schämt sich auch nicht für die Sexualität.

Somit kommen wir zum großen Thema der aufklärerischen Erziehung: Auf den ersten Blick, kann diese natürlich für alles verantwortlich gemacht werden: Moritz hat sich deshalb umgebracht, weil er von der Sexualität so geschockt war und Melchior vergewaltigt Wendla, sie stirbt daran, und er kommt in einer Besserungsanstalt und wird von der Gesellschaft ausgegrenzt. Aber man kann diese Vorkommnisse auch ganz gegenteilig beurteilen: Moritz hat sich ja vielleicht wirklich umgebracht, weil er von der Schule so unter Druck gesetzt wurde. Melchior wäre bei einer insgesamt aufgeklärteren Gesellschaft gar nicht so besonders gewesen mit seiner Erziehung. Wenn Wendla auch nur halbwegs aufgeklärt erzogen worden wäre, dann hätte sie sich vielleicht nicht vergewaltigen lassen, weil sie gewusst hätte, was da gerade vor sich geht und nicht vollkommen unbedarft gewesen wäre (Ich will damit nicht sagen, dass Frauen oder Mädchen selbst schuld sind, wenn sie vergewaltigt werden!). Sie hätte gewusst, warum sie sich nach dem wie auch immer gearteten Geschlechtsakt so komisch fühlt, dass sie vielleicht schwanger ist, sie hätte zum Arzt gehen können und wäre vielleicht in der Konsequenz nicht daran gestorben. Wieso Melchior sein Wissen eingesetzt hat, um Wendla zu vergewaltigen, das will mir nicht in den Kopf und das macht ihn wirklich unsympathisch, denn er wusste ja ganz genau, was er da tut. Vielleicht war es die jugendliche Neugier? Vielleicht waren es die Hormone? Letztendlich steht hier eine Kritik, die man offenbar nicht wegdiskutieren kann.

Insgesamt behandelt die Kindertragödie Frühlings Erwachen von Frank Wedekind viele wichtige Themen, mit denen man sich auseinandersetzen sollte, weshalb ich jedem nur ans Herz legen kann, sie mal zu lesen.

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