Das Abbrechen

Rund um’s Lesen: Das Abbrechen

Jeder kennt das Phänomen: Die Rezensionen waren alle so positiv, der Klappentext klang so vielversprechend, das Cover war so schön gestaltet, da musste man das Buch einfach kaufen. Dann liest man es und merkt bald, dass es einem nicht gefällt. Eigentlich will man es abbrechen, aber…

Ja, aber. Was spricht dagegen ein Buch einfach abzubrechen? Natürlich gibt es auch die Leser, die keine Probleme damit haben, ein Buch abzubrechen, aber viele haben damit Probleme. Woran liegt das?

Zum einen mit Sicherheit daran, dass man ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Buch hat. Man traut sich nicht, das Buch abzubrechen, weil es schließlich von einem Autor geschrieben wurde. Der hat sich Mühe damit gegeben, da kann man es nicht einfach abbrechen.

Man will dem Buch noch eine Chance geben. Man hat das Buch ja noch nicht fertig gelesen, deshalb muss man ihm die Chance geben, besser zu werden. Eigentlich kann es ja nur noch besser werden oder aber es ist unfair ein Buch zu beurteilen, bevor man es beendet hat. Also muss man das Buch weiterlesen.

Auch wenn man das Gefühl hat, dass das Buch überall gehypt wird, dann traut man sich vielleicht nicht es abzubrechen oder doof zu finden. Habe ich aber auch schon gemacht. Ich habe Eat, Pray, Love damals nicht besonders prickelnd gefunden, obwohl es jeder – oder zumindest gefühlt jeder – super fand.

Dies sind viele gute Gründe, ein Buch nicht einfach so abzubrechen, aber natürlich gibt es auch Bücher, die man einfach nicht beenden konnte. Ich habe mich bei einem Kurzroman mit etwa 150 Seiten nach über der Hälfte auch schon gefragt, ob ich das Buch wirklich fertig lesen möchte, oder ob mir meine Zeit und mein Spaß am Lesen dafür nicht zu kostbar sind. Aber wenn man nicht mal mehr 70 Seiten vor sich hat, dann entscheidet es sich schwerer zum Abbruch, weil man es eben „bald hinter sich hat“. An dieser Stelle meines Zwischenfazits möchte ich noch den Artikel von Mikka zu dem Thema empfehlen.

Aber kürzlich habe ich ein Buch angefangen, das zu Anfang ganz gut klang. Der Titel klang gut und auch die Buchbeschreibung war relativ gut zu lesen: Wenn die Nacht am stillsten ist von Arezu Weitholz. Ganz klar eine Gesellschaftskritik, die das Buch da bereit hält. Es geht um Ludwig und Anna, die Arbeitskollegen sind und unter anderem deshalb ihre Beziehung geheim halten. Er ist ihr Chef und sie hat den Job durch einen Freund bekommen, doch sie gehört eigentlich nicht in diese Welt. Ihr Vater hat Selbstmord begangen als sie noch jünger war, ihre Mutter ist im Altersheim, sie selbst kann ihren Job nicht ausstehen, obwohl sie extra für ihn aus Südafrika zurückgekommen ist. Südafrika war nur ein Fluchtort. Dort konnte das Altersheim nicht einfach anrufen und sagen, kommen Sie bitte vorbei, ihre Mutter wirft mit Gegenständen. Sie hat in Südafrika als DJane gearbeitet und nahm Drogen, aber auch das war nicht das Wahre, schließlich hatte sie dort Freunde, auf die man sich auch nicht so richtig verlassen konnte. Ludwig will davon nichts wissen. Ihm ist wichtig, dass seine Freundin gut aussieht, dass er als kluger Mann anerkannt wird, dass alle um ihn herum ihm imponieren wollen und dass die Fassade nicht bröckelt. Klingt doch nicht schlecht, dachte ich. Gesellschaftskritik klingt ja immer irgendwie gut und wenn es das wäre, hätte ich das Buch auch beendet, doch das Buch hat noch etwas anderes an sich.

Ich kann es nicht besser erklären, als dass mich dieses Buch traurig gemacht hat. Nicht so wie Erfahrungsberichte, die ich manchmal lese. Die machen auch traurig. Nicht ohne meine Tochter von Betty Mahmoody und all die anderen Erfahrungsberichte. Die machen ein bisschen glücklich, aber vorher machen sie lange traurig. Nicht weil „die da“ böse sind und wir die Guten, sondern weil man sich fragt wie so viel Unverständnis herrschen kann, aber das ist ein anderes Thema. Ich hatte das noch nie, dass ich ein Buch gleichzeitig weiter lesen wollte, denn Weitholz schreibt durchaus spannend und dennoch die ganze Zeit den Wunsch hatte, das Buch abzubrechen. Ich dachte, dass das bestimmt besser wird, wenn ich erst mal etwas anderes zwischendurch lese. Wurde es nicht. Nicht nach einem zwischengeschobenen Buch, nicht nach zweien und auch nicht nach dreien. Ich habe etwa die Hälfte des 230 Seiten dicken Buches gelesen und habe nie mehr als 20 Seiten am Stück ertragen. Und ertragen ist hier durchaus richtig, denn das Buch hat mich einfach nur traurig gemacht und teilweise auch gelangweilt (Ja, ich weiß auch nicht genau, wie man ein Buch gleichzeitig weiter lesen wollen kann und es dennoch langweilig findet, aber es war so). Am Anfang sitzt Anna 50 Seiten an Ludwigs Bett und monologisiert vor sich hin. Ich dachte mir: Vielleicht wird es besser. Wurde es, zumindest etwas spannender, aber der Stil hat sich nicht verändert. Der Leser erhält die ganze Zeit nur Einblicke in Annas Gedankenwelt und in ihre Handlungen. Sie interagiert in weiten Teilen des Romans nur mit sich selbst und erinnert sich zurück. Aber nicht geordnet. Nein, der Leser muss selbst erraten wie weit sie gerade zurückblick, denn dies geschieht ohne jede Angabe und auch mitten im Absatz. Das trägt nicht gerade dazu bei, dass das Buch leichter zugänglich wird.

Ja, ich mag Bücher, die nicht leicht zu verdauen sind und ich mag auch Bücher, die mich nachdenklich, traurig oder wütend machen. Die meisten Bücher haben einen Grund, das zu tun. Dass es mich traurig macht, was mit Waris Dirie in Wüstenblume geschehen ist, ist gut und richtig so und es hat den Grund, dass etwas passiert ist, was mich traurig oder wütend machen kann. Aber in Wenn die Nacht am stillsten ist geschieht nichts dergleichen. Das Buch macht mich einfach traurig. Ohne Grund, ohne, dass da Inhalt involviert wäre.

Dafür ist mir meine Zeit und mein Lesespaß zu schade. Deshalb habe ich das Buch abgebrochen. Kennt ihr das? Kennt ihr Bücher, die man einfach nicht beenden KANN bzw. die ihr nicht beenden konntet?

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert