Den Roman Klara und die Sonne von Kazuo Ishiguro habe ich als Hörbuch gehört, deshalb werde ich etwas zum Inhalt und auch zum Medium schreiben.
Die Handlung hat mir sehr gut gefallen. Wenngleich zeitweilig nicht so wahnsinnig viel passiert, weil sich der größte Teil der Handlung im Haus abspielt, mochte ich diese ganz gerne.
Die Charaktere haben mir auch ganz gut gefallen. Josies Mutter fand ich aber Anfang etwa seltsam, aber sie hat sich für mich positiv entwickelt und ich mochte sie dann eigentlich ganz gerne, sobald man sie besser kennenlernt und ihre Gefühle begreift. Josie mochte ich am Anfang, doch sie wurde mir in den folgenden Jahren unsympathischer. Sie behandelt Klara zwischenzeitlich nicht so sonderlich gut und auch Rick wird von ihr häufig von oben herab behandelt. Rick und Miss Helene sind schwieriger einzuschätzen. Auf der einen Seite tat mir Rick häufig leid. Er tut viel für Josie und seine Mutter, aber er wird von beiden häufig nicht so liebevoll behandelt. Miss Helenes Charakter ist schwer zu durchschauen. Sie wirkt sozial sehr tollpatschig und scheint ständig in irgendwelche Fettnäpfchen zu tappen. Klara war mir mit Abstand am sympathischsten. Sie ist eine kluge, neugierige und fürsorgliche KF und versucht so gut sie kann für Josie da zu sein. Sie stellt ihre Rolle im Haushalt zwar nicht wirklich in Frage und kommt allen Aufforderungen nach, so wie sich das für eine gute KF gehört, doch sie denkt auch eigenständig und löst sich so in gewisser Weise auch von Josie.
Die Gesellschaftsordnung im Roman blieb für mich die ganze Zeit über etwas abstrakt, weil Klara – dazu komme ich gleich noch – natürlich nicht versteht wie genau die Menschen ihre Leben organisieren und deshalb wenig dazu berichtet. Wie wir das aus der aktuellen Lage kennen, scheint dort häufig Distanzunterricht gemacht zu werden. Josie geht offenbar in eine Klasse, in der die Kinder alle digitalen Unterricht haben. Um dennoch für das College und die Interaktion mit Gleichaltrigen gewappnet zu sein, nimmt sie an so genannten Interaktionstreffen teil. Offenbar teilt sich die Gesellschaft in zwei Klassen: Die Gehobenen und die, die nicht gehoben wurden. Was man tun muss um gehoben zu werden, bleibt unklar, aber offenbar ist es mit irgendwelchen Risiken verbunden, denn die Krankheit von Josie scheint mit diesem Gehobensein zusammen zu hängen. Ich fand es sehr schade, dass man nicht mehr über die Gesellschaft und das Schulsystem dort erfährt, wobei man über den Roman hinweg natürlich hier und da mal ein paar Details erhält, aber so der große Zusammenhang fehlte mir und ich hätte mir auch noch einige Details mehr gewünscht.
Klara ist die Erzählerin des Romans und obwohl das natürlich Sinn ergibt, macht es den Roman alleine deshalb schon total spannend. Klara kann die menschlichen Belange, Beziehungen, Gefühle, Tagesabläufe und Handlungen zwar beobachten – und sie ist eine wirklich gute Beobachterin, weil sie so neugierig und klug ist – aber ihre Erzählung hat doch einige Lücken. Sie versteht manche Dinge schlichtweg nicht und kann für anderes keine Gründe angeben. Sie ist also eine ziemlich unzuverlässige Erzählerin, aber eben nicht aus Absicht. Gerade das finde ich an der Erzählform so spannend. Wie sieht jemand, der die Welt nicht versteht, sondern aus ihr herausgehoben ist, unsere Welt und unsere Gesellschaft?
Hier fand ich ein bisschen schade, dass es sich um eine zukünftige Welt handelt, in der der Roman spielt. Das sorgt dann dafür, dass man keinen Außenblick auf unsere aktuelle Gesellschaft erhält, was ich schade fand, weil ich es mir erhofft hatte. Als ich mich aber daran gewöhnt hatte, dass meine Hoffnungen nicht erfüllt werden, hat mir der Roman dennoch gut gefallen, weil natürlich auch in dieser Welt eine Außensicht auf die Gesellschaft spannend ist.
Besonders spannend sind an diesem Roman natürlich die Hauptfragen: Kann eine KF ein Mensch werden? Ist sie dazu in der Lage einen Menschen so gut zu lernen, dass sie ihn so gut imitieren kann, dass kein Unterschied zwischen KF und Mensch erkennbar ist? Gibt es eine Seele, die nicht erlernbar ist? Oder steckt unsere Seele vielleicht nicht in uns selbst, sondern in den Menschen um uns herum? Was macht uns, unseren Kern aus? Ist der irgendwo physisch in uns und kann erkannt, gemessen, festgestellt werden? Oder ist das, was uns zu uns selbst macht, etwas nicht Greifbares? All diesen Fragen geht Ishiguro in Klara und die Sonne nach. Und diese Fragen regen toll zum Nachdenken an und haben mich tief beeindruckt, denn Mr Capaldi geht davon aus und kann das auch beweisen, dass nichts in einem Menschen ist, was ein KF nicht nachempfinden und lernen könnte. Doch gegen diese These wehrt sich natürlich etwas in uns. Irgendetwas muss da doch sein, das uns einzigartig macht? Oder müsste eine Maschine nur komplex genug „denken“ können, um alle möglichen Entscheidungsmatrizes eines Menschen durchrechnen und so letztendlich doch so entscheiden zu können wie ein Mensch? Davon unabhängig: Ist die Entscheidung möglicherweise das, was einen Mensch zu einem Mensch macht? Also die Fähigkeit Entscheidungen wissentlich zu treffen?
Bei dieser Überlegung hatte ich noch einen interessanten Eindruck vom Roman: Josie darf keine eigenen Entscheidungen treffen oder fast gar nicht. Die Gesellschaft, ihre Mutter, die Haushälterin entscheiden für sie. Erst nach und nach löst sich Josie davon und trifft ihre eigenen Entscheidungen. Auch Klara darf eigentlich nicht selbst entscheiden, sondern muss machen, was man ihr aufträgt. Manchmal muss sie die Entscheidung treffen, ob ein Mensch in einer Aussage eine implizite Aufforderung verpackt hat, aber diese Art der Entscheidung ist die größte Entscheidung, die sie treffen muss. Auch dieser Aspekt regt zum Nachdenken an und könnte sicher diskutiert werden. Dieser gesamte Ideenkomplex hat mir gut gefallen.
Das Hörbuch selbst habe ich als physisches Hörbuch erhalten. In der quadratischen Box waren die CDs in Hüllen eingelegt. Die Box selbst sieht ein bisschen aus wie die Box eines Spiels, solch eine Art der Verpackung habe ich bisher noch nie gesehen, gefiel mir aber ausgesprochen gut.
Bei dem Hörbuch handelt es sich um die ungekürzte Version, die von Johanna Wokalek gelesen wurde. Ich habe ein bisschen gebraucht, mich an die Stimme zu gewöhnen, aber am Ende hat sie doch ganz gut zur Klara gepasst, wobei sie mir persönlich etwas zu rau war. Dennoch hat die Stimme gut zu Klaras Charakter und zur Stimmung im Buch gepasst. Ich würde das Buch nicht ausschließlich aufgrund der Sprecherin empfehlen, aber würde es auch nicht nicht empfehlen ihretwegen.
Alles in allem hat mir Klara und die Sonne von Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro sehr gut gefallen. Man kann über die zuvor genannten Fragen sicherlich ausführlich diskutieren, sodass ich der Roman auch für das Lesen im Lesekreis oder ähnlichem anbietet. Trotz der vielen wichtigen Fragen fand ich den Roman leicht verständlich und ich werde auf jeden Fall mal wieder zu einem Ishiguro greifen.
Vielen Dank an Random House Audio für das Hörbuchrezensionsexemplar!