Die Schachspielerin von Bertina Henrichs ist als Roman ausgezeichnet, aber meiner Ansicht nach handelt es sich dabei eher um eine Novelle. Es handelt sich hier um eine sehr gradlinige, relativ kurze Geschichte, die auch keinen Nebenschauplatz hat. Es geht eigentlich immer nur um Eleni, und der Erzähler erzählt ihre Geschichte, begleitet sie auf ihrer Reise und folgt ihr nach Athen. Da es also keine Nebenschauplätze gibt, handelt es sich meiner Ansicht nach bei Die Schachspielerin von Bertina Henrichs eher um eine Novelle.
Damit ist auch schon ein zweiter Gesichtspunkt zumindest angedeutet: Über das Innenleben vieler anderer Figuren wird kaum etwas deutlich. Man erfährt, dass Panos, Elenis Ehemann, mit ihrem Schachspielen nicht besonders glücklich ist, aber man erfährt nicht genau warum, darüber hinaus erfährt man wenig über die Gedanken und Gefühle der Kinder von Eleni und Panos, man erfährt nicht über die Gedanken von Katerina oder Maria, nur weniges erfährt man von Kouros und Costa, die an sich auch eher in sich verschlossene Figuren sind. Kouros reflektiert sein Verhältnis zur Gesellschaft, zu Eleni und seine Aufgabe in der Welt, aber darüber hinaus erfährt man auch kaum etwas von ihm. Eleni reflektiert ihr Verhalten selbst noch relativ wenig; sie macht sich eigentlich kaum Gedanken darüber, dass sie plötzlich aus ihrer kleinen Welt ausbrechen möchte. Sie bemerkt zwar, dass diese Schutzschicht, in der sie immer gelebt hat, nun relativ beklemmend für sie ist, dass ihr das früher aber nicht so viel ausgemacht hat, aber sie scheint nicht zu merken, woran das liegt. Sie denkt einfach nicht weiter darüber nach. Wenngleich man diesem Konzept einer Hauptfigur einiges entgegenbringen könnte, finde ich, dass es gut zu Eleni passt, dass sie nicht allzu viel über alles nachdenkt. Sie bemerkt nur selbst mit einer gewissen Selbstironie, dass ein kleines Zimmermädchen Schach spielen will und dass das eigentlich seltsam ist.
Ich habe als Kritikpunkt gelesen, dass in diesem Buch das Schachspiel nicht besonders detailgetreu rüberkam. Es gibt keine Uhren wie man sie von Schachturnieren kennt, und auch abgesehen davon wäre das Buch ziemlich wenig beschreibend, was das Schachspiel angeht. Es mag sein, dass dem so ist und es mag sein, dass man das als Schachspieler merkt, aber mir als absolutem Schachlaien ist das nicht aufgefallen. Zugegebenermaßen habe ich überhaupt keine Ahnung vom Schach, aber mir persönlich ist das nicht aufgefallen. Ich hätte es wohl eher noch als störend empfunden, wenn die Passagen des Schachspielens noch detailgetreuer umschrieben werden, weil ich davon nichts verstanden hätte und es für die Geschichte auch nicht notwendig oder hilfreich gewesen wäre.
Die Schachspielerin von Bertina Henrichs ist eine nette kleine Geschichte, die ich persönlich sehr ästhetisch fand und die ich durchaus empfehlen würde.